Amazon beschränkt sich schon lange nicht mehr auf sein ursprüngliches Kerngeschäft: den Onlineverkauf von Waren. Neben Logistikdienstleistungen wie dem Fulfillment-Service Amazon FBA (Fulfillment by Amazon) zählen mittlerweile auch ein Lastwagenfuhrpark und mit Amazon Air sogar eine Frachtfluggesellschaft zum Portfolio des Handelsgiganten. Welche Ziele Amazon damit verfolgt und welche Chancen sich für Dritte eröffnen, erfahren Sie in diesem Artikel.
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Was ist Amazon Air? Geschichte und Strategie
Amazon nahm im Frühjahr 2016 mit 20 Boeing-Flugzeugen den Flugbetrieb auf, damals noch unter dem Namen Amazon Prime Air. 2017 wurde die Gesellschaft in Amazon Air umbenannt, um Verwechslungen mit einem gleichnamigen hauseigenen Logistikprogramm zu vermeiden, das den Einsatz von Drohnen beim Warenversand erprobt. Zwar hatte Amazon schon vor der Gründung von Amazon Air Flugzeuge gemietet und für den Warenversand eingesetzt, doch erst mit der eigenen Fluggesellschaft erfolgte der Auftritt als selbstständiger Mitspieler im Luftfrachtgeschäft mit passend gestalteten Flugzeugen im Corporate Design.
Seit der Gründung ist die Flotte durch Anteilsankäufe bei anderen Frachtfluggesellschaften und das Leasing von Maschinen sukzessive erweitert worden – aktuell sind es über 80 Flugzeuge. Anfang 2021 wurden auch erstmals Flugzeuge von anderen Fluggesellschaften käuflich erworben. Nach notwendigen Umbauten werden diese der Flotte ab 2022 zur Verfügung stehen. Derweil haben sich von Mitte 2020 bis Mitte 2021 die Flüge von Amazon Air verdoppelt; die Fluggesellschaft wächst rasant – wie eigentlich alles, was Jeff Bezos in den letzten Jahrzehnten initiiert hat.
Ziel: Alles unter einem Dach
Wie viele andere unternehmerische Maßnahmen von Amazon dient auch die Gründung der eigenen Fluggesellschaft der „End-to-end“-Unternehmensstrategie: Möglichst viele Teile der Lieferkette (und schlussendlich alle) sollen von Amazon selbst abgedeckt werden, um nicht mehr auf Drittanbieter zurückgreifen zu müssen. Mit Amazon Air will sich der Handelsriese konkret aus der Abhängigkeit von Logistikunternehmen wie UPS, FedEx oder DHL befreien.
Vielleicht hat Amazon mit seiner Fluggesellschaft aber noch mehr vor. Derzeit transportiert Amazon Air nur konzerneigene Waren. Künftig könnte das Unternehmen aber auch in Konkurrenz mit anderen Logistikdienstleistern treten und zusätzlich auch Güter von anderen Anbietern transportieren – etwa indem überschüssiger Platz in den Frachtflugzeugen versteigert wird. So geschieht es bereits mit den konzerneigenen Server- und Cloudkapazitäten.
Amazon Air in Deutschland
Die Flottenbasis der Fluggesellschaft befindet sich in den USA und auch das Gros der Flugbewegungen findet dort statt. Doch ist Amazon Air auch in Europa aktiv, wobei die deutschen Flughäfen Köln / Bonn und Leipzig / Halle eine zentrale Rolle für den Ausbau der Gesellschaft spielen. Hier ist jeweils ein geleastes Flugzeug direkt stationiert.
Im Herbst 2020 hat Amazon zudem am Standort Leipzig / Halle ein eigenes Logistikzentrum in Betrieb genommen – ein sogenanntes Amazon Air Hub, das als Drehkreuz für den Warenversand in Europa und als Scharnier zwischen Luft- und Landfracht dient. In der Anlage auf dem Flughafen im nordsächsischen Schkeuditz werden Pakete sortiert und Flugzeuge sowie Lkw be- und entladen.
Wachstum in der Krise
Amazon ist mit imposanten Zuwächsen im Onlinehandel als weltweit größter Nutznießer aus der Coronakrise hervorgegangen, was alle Sparten des Unternehmens befeuert. Der Ausbau von Amazon Air ist vor allem dem langfristigen Ziel geschuldet, zukünftige Warenbewegungen bei Amazon weitgehend mit firmeneigenen Flugzeugen abzuwickeln und Logistikkosten zu sparen, er dient aber auch einem kurzfristigen Zweck: der Sicherstellung einer geschlossenen und zuverlässigen Lieferkette angesichts derzeitiger globaler Lieferengpässe.
Der Logistikbranche fällt es derzeit schwer, der weltweiten Transportnachfrage, die nach dem Höhepunkt der Pandemie wieder stark anzieht, gerecht zu werden. Ressourcen sind knapp, weil während der Krise die Kapazitäten in der internationalen Transportlogistik heruntergefahren worden sind – eine Reaktion auf gefüllte Warenlager ohne Abnehmer und eine eingeschränkte industrielle Produktion. Diese Kapazitätsbegrenzung trifft nun auf einen sprunghaft gestiegenen Bedarf, weswegen angefragte Frachtmengen mitunter nicht umgehend bedient werden können. Es mangelt an Containern, sowie See-, Land- und Luftfrachtkapazitäten. Die Folge sind Lieferschwierigkeiten und -engpässe sowie hohe Frachtraten.
Lücken in den Lieferketten selbst schließen
Firmeneigene Logistikoptionen können sich deshalb für Amazon zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil entwickeln, wenn es im Gegensatz zur Konkurrenz gelingt, bestellte Waren pünktlich zu liefern und gleichzeitig die Kosten durch interne Lösungen niedrig zu halten. Zudem verfolgt Amazon die Strategie, mit der vergrößerten Flugzeugflotte Waren aus China und anderen asiatischen Produktionsländern direkt und vorbei an den großen Logistikfirmen selbst zu importieren.
Wer profitiert von Amazons eigener Luftflotte?
Was Amazon selbst betrifft, so ist die Sachlage eindeutig: Je mehr das Unternehmen die logistischen Prozesse, die mit einem Onlineverkauf verbunden sind, unabhängig von Dritten selbst steuern kann, desto besser gerät die Kontrolle über die damit verbundenen Kosten. Sollte es Amazon auf diesem Weg gelingen, die Ausgaben für die eigene Transportlogistik merklich zu verringern, nutzt das vor allem Amazon selbst – aber wie sieht es mit anderen Marktteilnehmern aus? Profitieren auch sie?
Das hängt davon ab, ob sich Amazons Engagement in der Luftfrachtlogistik kurz- oder langfristig auch auf die Frachtraten der gesamten Branche auswirken wird. Hierbei ist zu bedenken: Selbst wenn Amazon Air bis Ende 2022 eine Flotte von rund 90 Flugzeugen in die Luft bringen wird, verfügt doch allein FedEx schon jetzt über mehr als siebenmal so viele Maschinen. Dass die zusätzlichen Kapazitäten von Amazon Air die aktuelle Logistikkrise abmildern, ist daher unwahrscheinlich.
Effekte auf Marktteilnehmer
Langfristige Auswirkungen von Amazon Air auf die internationale Luftfrachtlogistik sind nur schwer abzuschätzen. Von Preisminderungen und Kapazitätserweiterungen im globalen Luftfrachtverkehr würden letztlich alle profitieren, die auf diesem Weg Güter und Waren versenden, egal ob sie Frachtraum in Amazon-Air-Maschinen ersteigern oder auf die etablierten Player UPS, FedEx oder DHL setzen. Ob aber Amazon, wenn es sich denn einmal im Frachtlogistikmarkt prominent positioniert haben sollte, ein dauerhaftes Interesse daran haben wird, die Logistikkosten nicht nur für sich selbst, sondern auch für Dritte zu reduzieren, ist durchaus eine offene Frage.
Niedrige Preise für Verbraucher?
Derzeit steigen die Preise mancher Produkte angesichts der Lieferproblematik und der hohen Frachtraten. Wenn die Transportkosten wieder sinken, verringert sich dementsprechend deren Anteil am Verkaufspreis eines Produktes. Preisminderungen im Groß- und Einzelhandel könnten die Folge sein. Ein solche Gleichung hat aber unbekannte Größen: Wird Amazon Air die globalen Luftfrachtraten nachhaltig beeinflussen? Kommen die Kostensenkungen beim Endkäufer an?
Gleichwohl sind zumindest Auswirkungen exklusiv auf Amazon-Kunden vorstellbar: Geringere unternehmensinterne Aufwendungen für Logistik könnte Amazon an seine Online-Kunden weiterreichen. „Könnte“ – auch diese Aussage steht im Konjunktiv. Die tatsächliche Entwicklung ist ungewiss und Marktteilnehmern und Verbrauchern bleibt letztlich keine andere Option, als die Entwicklung (kritisch) zu begleiten. Amazons Einstieg in die Luftfrachtbranche erfolgte schließlich nicht nur zum Wohle der eigenen Kundschaft – auch im Fall von Amazon Air ist der Ausbau von Marktmacht ein kaum kaschiertes Ziel des Handelsriesen.
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